Mal unabhängig davon, was man von Gauck als Person denkt, bleibt eine simple Tatsache: Gauck ist eine zu 100% parteipolitische Figur geworden, als er vor 2 Jahren von Rot-Grün ins Spiel gebracht wurde. Darüber sollte man sich, auch angesichts seiner eigenen Parteilosigkeit, nicht hinwegtäuschen lassen.
Daß er sich hier nun instrumentalisieren läßt, um Merkel und Co Demut zu lehren, läßt auch ein Stück weit Rückschlüsse über Gauck zu. Die jetzige Konstellation ist für alle Beteiligten imho destruktiv, wir können Wulff, auch symbolisch, nicht rückgängig machen, indem nun das Ergebnis der Wahl vor 2 Jahren zurückgespult wird. Das jetzige Ergebnis ist Symbol für den Rot-Grünen Triumph, mehr noch, als wenn Steinmeier selbst nun Bundespräsident würde. Fabriziert von der FDP wird daraus das totale politische Possenspiel, der Wunsch nach einem echten Konsenskandidaten in fast schon unvorstellbarem Maß zur parteipolitischen Profilierung missbraucht… welche Pläne die Presse beim hypen von Gauck haben mag, begreife ich nicht, vor zwei Jahren gab es durchaus auch kritische Berichterstattung, diesmal scheint diese weitläufig auszubleiben.
Persönlich glaube ich nicht, daß Gauck der richtige für das Amt ist, weil er tendentiell mehr polarisiert, als vereint. Das ist keine grundsätzlich schlechte Eigenschaft, passt aber nunmal nicht zum Anforderungsprofil an den BP. Sicher läßt Gauck sich keiner Parteil zuordnen, er verhält sich allerdings keineswegs politisch neutral, ganz im Gegenteil scheint er sich je nach Themenbereich seine politischen Ansichten jeweils punktuell aus dem gesamten politischen Spektrum von rechtsaußen bis linksaußen zusammenzusuchen, ohne dabei eine erkennbare klare Linie zu verfolgen, da finden sich neoliberale Züge ebenso, wie verbliebenes Anspruchsdenken aus sozialistischen Zeiten, christliche Grundwerte ebenso, wie das Belächeln der aktuellen Kapitalismuskritik oder das Lob an Sarrazins Thesen… Je nach Teilbereich bringt er in nahezu jedem Teilbereich andere Bevölkerungsgruppen für sich auf, das ist interessant, aber als Bindeglied der Gesellschaft fast schon schizophren… Dazu kommt noch – bei aller Abneigung die ich gegen die Linke habe – daß ich einen Bundespräsidenten, der in, ich sag mal, „offener Feindschaft“ zu einer in der Bundespolitik mittlerweile durchaus angekommenen Partei lebt, doch unmöglich einen Konsens für die ganze Bevölkerung darstellen kann?!!?
Gauck sagt zum Beispiel auch, Vorratsdatenspeicherung sei nicht der Beginn des Spitzelstaates, und begründet das im weitesten Sinne damit, daß es in der DDR ja viel schlimmer war… Ich habe den Eindruck, daß da einige Maßstäbe verschoben sind… Rein subjektiv gesprochen… Ebenso findet er die Proteste der Occupy-Bewegung und die laufende Kapitalismuskritik offenbar lächerlich und verwehrt sich dagegen, daß die sozial schwachen unseres Landes den heiligen Begriff „Montagsdemonstration“ verwenden…
Befürworter sagen, daß gerade einer wie er die Bedeutung von Kapitalismuskritik kennt, daß für ihn als aktiven Zeitzeugen die Begrifflichkeiten geprägt sind und die heutige Situation weit von den Repressalien der DDR entfernt ist…
Das ist sachlich alles richtig, und auch die Intention von Gauck ist klar, ebenso wie ich Verständnis habe, daß ihm vor dem Hintergrund seiner eigenen Geschichte manches heutige Problem lächerlich erscheinen mag.
ABER: durch solche Äußerungen wird kritisches Denken erstickt und abgewürgt, insbesondere, wenn er sich in dieser Form als Bundespräsident äußern kann.
Es gab historisch sicher auch schlimmeres als die DDR, was hätte Gauck wohl gesagt, wenn man ihm damals von der Christenverfolgung in der Antike erzählt und gesagt hätte, sein Aufbegehren in der DDR sei dagegen lächerlich?? Alles eine Frage des Maßstabs, oder?