Auch das hier ist entstanden als Kommentar in g+, aber wo ich schonmal wieder so viel getippselt habe, verwurste ich es auch hier….
Vor zwei Jahren war Gauck für die meisten noch ein völlig unbeschriebenes Blatt, man kannte den Namen, aber doch vor allem im Zusammenhang mit „-Behörde“, kaum aber die Person dahinter.
In den letzten zwei Jahren hat sich das gewandelt, Gauck ist mit einem gewissen Ruhm und dem Pathos des „Präsidenten der Herzen“ aus der Wahlniederlage heraus in die Welt marschiert, wurde fröhlich in Talksendungen herumgereicht, auf Podien besetzt etc. pp.
Zwei Jahre, die es ihm erlaubten, sich vor großer Rezeptorengruppe zu den verschiedensten Themen und Sachverhalten zu äußern, zwei Jahre, die den Rezeptoren die Bildung einer Meinung erlaubten.
Dabei hat Gauck einige Äußerungen getätigt, die zumindest mal die negative Interpretation nahelegen, dabei will ich auf das doch eher unsägliche Bashing der Sarrazin-Mut-Äußerung und ähnlichen Unsinn garnicht eingehen.
Es bleibt aber ein Bild eines Menschen, der sich eindeutig neoliberale Inhalte zu Eigen macht – was in meinen Augen so garnicht zum christlich-westlichen Weltbild passen will – und der die aktuellen Proteste in der Welt vor den eigenen – subjektiv wahrgenommenen – Erlebnissen der Vergangenheit, väterlich lächelnd für lächerlich verklärt und haltlos erklärt.
Jemand, der die Online-Überwachung rechtfertigt mit der Erklärung, daß es in der DDR noch ganz anders zuging. Ein Mensch, der sich in meinen Augen, je nachdem, wie es gerade passt, in eine Rückwärts gerichtete Vergangenheitssicht flüchtet und damit ein Einfühlungsvermögen oder auch nur eine differenzierte Sicht für die Wahrnehmung eines großen Teils der Bevölkerung, die er dann bald vertreten soll, aus seiner persönlichen Realität ausblendet.
Dieses Muster findet sich wiederkehrend in seinen Äußerungen, Herr Gauck ist sehr, sehr gut, wenn es darum geht, sich differenziert mit vergangenem auseinanderzusetzen, im aktuellen Zeitgeschehen aber sehe ich persönlich da Defizite.
Hinzu kommt, daß Gauck sich, wie oben schon angeschnitten, in politischer Weltsicht und Haltung scheinbar völlig unkontrolliert bei den verschiedensten politischen und ethisch/philosophischen Richtungen bedient und sich daraus ein teils sehr widersprüchliches Weltbild zusammenstrickt, bei dem allerdings jeder in einigen Teilbereichen eine Kongruenz findet.
Da mischt sich neoliberale Wirtschaftfreundlichkeit mit quasi-sozialistischem Anspruchsdenken, Christkonservative Ethikvorstellung mit Patchwork-Familie (was ich keineswegs abwerten will), die eigene Bürgerrechtler-Vergangenheit mit seinen Äußerungen zur heutigen Kapitalismuskritik und sein ehemaliges Leben in einem Überwachungsstaat mit Äußerungen pro vds…
Sorry, aber das ist für mich strukturlos und undurchsichtig, in Englisch würde ich sagen „mindbending“… Durch dieses Verhalten entsteht sicherlich die Illusion breiter Deckungsgleichheit, wenn diese aber jeweils für jeden nur einen (kleinstmöglichen) Bruchteil der eigenen Ansicht abdeckt, stellt sich diese scheinbare Deckungsgleichheit in der Breite schnell als Illusion heraus…
Die direkte Folge daraus: Eine heftig gespaltene Gesellschaft. Und das schon jetzt, wo er gerade mal nominiert ist… Das schlägt sich hier im social network (mehr oder minder Niveauvoll und sachgerecht) ebenso wie in den Medien und im täglichen Gespräch am Arbeitsplatz nieder…
Hinzu kommt der unsägliche FDP-Bruder-(oder Schwester-)Mord, der den Koalitionspartner gegen seinen Willen zur Zustimmung gezwungen hat, um weiteren (banalen, politischen) Schaden abzuwenden…
Auch, dass Gauck sich vor diesen Karren aus Profilierung, Demütigung und feixendem Triumph spannen lässt, lässt ihn für mich nicht als gute Wahl erscheinen…
Naja, ich harre nun der Dinge, die da kommen… Vielleicht liege ich vollkommen falsch, vielleicht richtig, wahrscheinlich findet sich die Wahrheit nachher irgendwo in der Mitte – oder es kommt noch ganz anders und Herbert Feuerstein wird doch noch Präsident…
Just my 2 cents